Warum wir Menschen uns Geschichten erzählen
Hallo und herzlich willkommen zum allerersten Podcast "Wissenschaft im Gespräch" heute mit dem Thema "Music to Remember". Und ich freue mich, dass Lisa heute zu Gast ist. Hallo Lisa!
Hallo, ich freue mich hier zu sein.
Ich bin Tobias, Physiker aus Köln, möchte aber überhaupt nicht über meine Wissenschaft, die Physik, heute reden, sondern eben über die von Lisa, aber erst ausholen und eine kleine persönliche Geschichte dazu erzählen. Und zwar habe ich zu Schulzeiten ein Sozialpraktikum gemacht in einem Altenpflegezentrum in Hamburg, mitten auf Sankt Pauli, und war dort auf der Station für Senior*innen mit Demenz.
Und die Erinnerungen, die mich am meisten geprägt haben aus dieser Zeit, oder die Erfahrung, war wenn immer Mittwoch nachmittags eine Akkordeonspielerin vorbeigekommen ist und wir dann alle Senior*innen, die Lust hatten, zusammengeholt haben und eben auch viele von unserer Demenzstation. Und diese Akkordeonspielerin hat dann bekannte Hamburger Volkslieder gespielt und es wurde dazu gesungen und mitgeschunkelt. Und den Effekt, den diese Musik auf die gerade von Demenz betroffenen Senioren*innen hatte, war unfassbar. Also deren Gesicht hat sich verändert, sobald die Musik losging. Es wurde mitgesungen, die Freude sprühte geradezu aus ihnen heraus und es waren häufig Emotionen, die ich sonst im Alltag mit denen nicht so erleben konnte.
Und einige Jahre später habe ich dann auch im eigenen privaten Umfeld, im familiären Umfeld, das auch nochmal erlebt. Und ich bin mir sicher, viele von euch da draußen haben vielleicht auch Angehörige mit Demenz und haben das schon beobachten können, den Effekt, den Musik auf Leute mit Demenz haben kann. Es gab auch auf Social Media sind da auch Videos zu kursiert und jeder, der das mal gesehen hat, weiß, wie beeindruckend das ist und was das auslösen kann.
Und deswegen freue ich mich, dass wir heute aus wissenschaftlicher Sicht über diesen Effekt reden können. Und genau dafür ist Lisa zu Besuch. Willst du dich einmal kurz vorstellen?
Ja, mein Name ist Lisa. Ich lebe in Weimar, aber ich arbeite in Jena an einem Forschungsprojekt zu Musik und Demenz. Inzwischen bin ich in dem Bereich auch schon seit ungefähr sechs Jahren und wir sind da eine sehr große Forschungsgruppe, die von Professor Gabriele Wilz geleitet wird, und arbeiten da eben als Psycholog*innen und ich als Musikwissenschaftlerin zusammen an dem Thema.
Super spannend! Ist dieses Thema etwas, das jetzt ganz neu erst beleuchtet wird? Oder ist das schon länger ein Thema für Research an Universitäten?
Also ich glaube, den Effekt, den du beschrieben hast, das ist etwas, was ganz viele Leute kennen. Aber so richtig in der Forschung angekommen ist das eigentlich so ab den 90er Jahren und so einen richtigen Durchbruch erlebt haben wir damit eigentlich im Jahr 2014 und lustigerweise auch anhand eines Dokumentarfilms. Der heißt "Alive Inside", vielleicht kennen den auch einige. Und da war es so, dass der Sozialarbeiter Dan Cohen in Nordamerika in Pflegeheime gegangen ist und dort Menschen mit Demenz ihre Lieblingsmusik vorgespielt hat. Und da haben sich eben genau die Dinge gezeigt, die du beschrieben hast. Also Leute sind buchstäblich zum Leben erwacht und waren einfach total agil durch die Musik.
Und da hat sich dann auch die Forschung eben darauf ausgerichtet und gemeint: "Okay, wenn das so toll ist, dann müssen wir da dazu forschen". Und so kam eigentlich so die Hauptaufmerksamkeit.
Und vielleicht kann ich das dazu gleich noch anfügen: Was ganz spannend war, war das zu einer ähnlichen Zeit, also eigentlich nur ein Jahr später, 2015 dann eine große Max Planck Studie rausgekommen ist, die gezeigt hat, dass das Areal im Gehirn, das quasi das Musik-Langzeitgedächtnis ist, auch ein Areal ist, dass bei einer Demenzerkrankung bis zuletzt kaum betroffen ist. Das heißt, Menschen mit Demenz können ganz lange noch ihre Lieblingsmusik erinnern.
Okay, aber das heißt, das war dann wahrscheinlich Zufall. So eine Studie ist ja dauert ja lange, die zu machen. Das heißt, es war eher zufällig, dass 2015 zwischen 2014 gleichzeitig Aufmerksamkeit durch diesen Film erregt wurde und durch diese Studie auf das Thema gelegt wurde. Das heißt, da gab es praktisch plötzlich ein größeres, auch öffentliches Interesse an diesem Thema.
Ja.
Und du hast schon gesagt, euch hat auch dieser Film mit inspiriert. Was ist denn genau jetzt eure Forschung? Was ist euer Bereich, auf den ihr euch spezialisiert?
Eigentlich war die Idee, genau das Gleiche zu machen, was auch in dem Film passiert. Also in Pflegeheime zu gehen und Menschen mit Demenz ihre Lieblingsmusik vorzuspielen. Und das haben wir dann auch gemacht in Thüringen. Und am Ende haben wir dann auch wirklich mit über 100 Menschen mit Demenz gearbeitet.
Okay, also eine sehr große Stichprobe, die ihr dann besucht habt. Und was für Musik habt ihr denen dann vorgespielt?
Ganz individuell ihre Lieblingsmusik. Also wir haben wirklich jede Person gefragt, was ihre Lieblingsmusik ist, und das vorgespielt.
Okay, und aus meiner Erfahrung würde ich erwarten, dass wenn ich jetzt damals an die Bewohner*innen von meiner Station denke, dass ich bei den wenigsten wahrscheinlich tatsächlich eine Antwort gekriegt hätte auf die Frage "Was ist denn dein Lieblingslied?" Oder eine Antwort, mit der ich gut hätte arbeiten können. Habt ihr dann im Zweifelsfall Angehörige oder Freund*innen gefragt oder wie habt ihr das gemacht?
Genau so. Also wir hatten einen eigenen Fragebogen und da waren eben bestimmte Fragen zum Lebenslauf, was eben in der Jugend wichtig war, was zur Hochzeit gespielt wurde, all solche markanten Lebensereignisse und das haben dann meistens die Angehörigen ausgefüllt. Aber wenn die Menschen mit Demenz das selbst konnten, dann haben wir die auch selbst gefragt.
Und dann hattet ihr eine Ansammlung von mehr als nur einem Lied, wenn man so viel abfragt, wahrscheinlich?
Genau. Also jede Person hat am Ende drei ganze Playlisten bekommen.
Ah, okay, also richtig viele Lieder. Also was ist das dann in Zeit? Also eine Playlist?
Waren so 20 Minuten.
Ok. Also eine Stunde Musik, die ihr zusammengesucht habt.
Genau.
Hast du Lust, hast du irgendein Lied, das vielleicht besonders häufig gewünscht wurde, was wir uns mal anhören könnten?
Ich glaube, und das liegt natürlich auch an der Alterskohorte, mit der wir gearbeitet haben, ein Künstler, den wir sehr oft gespielt haben, war Udo Jürgens und ich glaube, eines der häufigsten Lieder war "Griechischer Wein". Ich denke, das kennen sicherlich viele, aber wir können auch gerne mal reinhören.
Ich wollte gerade sagen, für alle die es nicht kennen hören wir ganz kurz in einen Ausschnitt rein.
Toll. Ein Klassiker, von dem du sagst, dass der besonders häufig gewünscht wurde. Aber du hast selber auch schon gesagt, jeder hat eine eigene Playlist gekriegt auf den individuellen Wünschen und dementsprechend waren die wahrscheinlich auch sehr unterschiedlich? Oder gab es da große Überschneidungen?
Also natürlich gab es dann so Lieblingsgenres die sehr viel gehört wurden. Das haben wir auch ausgewertet. Also sowas wie Schlager wurde schon in sehr vielen Playlisten gehört, aber eben dann auch von ganz unterschiedlichen Künstler*innen, von unterschiedlichen Bands. Und es war wirklich so individuell, wie die Personen selbst waren. Wir hatten zum Beispiel auch einen Jazzmusiker, der eine reine Jazz-Playlist hatte. Wir hatten eine ehemalige Kindergärtnerin, die hatte ganz viele Kinderlieder. Also es war wirklich je nach Hintergrund der Person war die Playlist auch angepasst.
Okay, das ist ja dann praktisch ein Unterschied zu dem, was ich damals erlebt habe, wo wir in der Gruppe Musik gemacht haben und dann eben bewusst Volkslieder oder auch zum Teil Kinderlieder gespielt wurden, die halt alle kannten, die in Hamburg aufgewachsen sind. Auch ich kannte die aus meiner Schulzeit auch. Auch da können wir vielleicht einmal reinhören. So ein Klassiker, der immer wieder angespielt wurde und wo dann auch, selbst wenn man nicht mitsingen konnte, wurde dazu geschunkelt oder so, war "In Hamburg sagt man Tschüss", bestimmt auch über die Grenzen von Hamburg hinaus bekannt. Wir hören auch da ganz kurz rein.
Ja, auch ein zeitloser Klassiker, hier in der Version von Heidi Kabel. Viele von euch werden das bestimmt kennen.
Ich denke auch. Und das das Schöne an dem Beispiel ist eigentlich, oder was es so zeigt ist, das so ein Regionalbezug auch total wichtig ist. Und das ist auch was, was wir in der Studie gemerkt haben, dass zum Beispiel bei uns im Thüringer Raum das Rennsteig Lied total wichtig war. Also das war wirklich gefühlt auf jeder dritten Playlist und für die Leute einfach ganz wichtig und auch was, wo die meisten ganz besonders reagiert haben.
Dann lass uns doch auch da nochmal ganz kurz reinhören. Also hier ein kurzer Ausschnitt von dem Rennsteig Lied.
Will man gleich loslaufen!
Will man direkt loswandern durch das Land! Ja, okay, das heißt Udo Jürgens, ein Klassiker, der vielleicht auch bei Betroffenen in ganz Deutschland gewünscht worden wäre. Wir haben auch diese regionalen Bezüge. Auch kann ich wieder aus meiner Geschichte erzählen, das ist ja so ein bisschen bezeichnend, "In Hamburg sagt man Tschüss", habe ich vor allem in meiner Jugend auch gesungen, ich denke, auch die meisten der Bewohner*innen von dem Altenpflegezentrum dort.
Und das ist etwas, das mir damals aufgefallen ist. Ich meine, ich war ein junger Schüler, ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Aber es war schon auffallend, dass auch wenn ich mich mit Leuten unterhalten habe, ganz häufig Geschichten aus der Jugend erzählt wurden. Wenn noch etwas erinnert wurde, worüber gesprochen wurde, irgendwelche Erinnerung, dann war es immer eine Wanderung mit Geschwistern oder, das schienen irgendwie Erlebnisse zu sein, die sich ganz tief eingebrannt hatten und eben auch nach so vielen Jahren und jetzt mit der eintretenden Demenz, wo aus den vielleicht letzten 40, 50 Jahren des Lebens kaum noch was erzählt wurde - diese Zeit war ganz prägnant da. Gibt es dazu irgendwelche Forschung, die das erklärt, warum es genau diese Zeit ist, die sich so ein brennt?
Ja, dazu gibt es Forschungen und in der Emotionsforschung, wenn man da zurückblickt, da kann man wirklich gucken, in welchen Lebensspannen, so auch auf Jahrzehnte bezogen, gibt es so die größten Ausschläge von Ereignissen, die besonders gut erinnert werden oder eben besonders prägnant für das eigene Leben sind. Und da ist so die Zeitspanne von 10 bis 30, die man so feststellt, also 20 Jahre, wo Leute wirklich die meisten Dinge noch auch im hohen Alter gut erinnern können, wenn man das jetzt vergleicht mit den Zeitspannen davor und danach, die nicht so gut oder im Vergleich weniger gut erinnert werden können.
Weiß man da, hat das neurologische Gründe, dass das Gehirn da irgendwie Erfahrungen besonders tief abspeichert? Oder woran liegt das?
Also in erster Linie hat das einfach damit zu tun, dass es eine Lebensspanne ist, die eben für die meisten besonders prägend ist. Also da passieren einfach große und wichtige Lebensereignisse. Sowas wie die Schule geht zu Ende oder in der Pubertät, das Leben oder der eigene Charakter formt sich so richtig, dann zieht man vielleicht von zu Hause weg, dann heiratet man, dann kriegt man Kinder. Also sind einfach so sehr große Lebensereignisse, die so in der Zeit passieren.
Ok, also gar nicht ein neurologischer Effekt. Und dann, vielleicht hat sich diese Zeit, die so besonders einprägsam ist, sich auch verschoben: Jetzt, wo Menschen später heiraten oder nicht mehr alles geballt in den frühen Zwanzigern passiert?
Müsste man gucken. Ja genau, müsste man jetzt gucken wenn wir jetzt 70, 80, 90 sind, wie sich das verschieben würde. Aber genau es hängt eben vor allem damit zusammen, dass große Lebensereignisse mit großen Emotionen verbunden sind und große Emotionen am Ende dann auch in der Erinnerung stärker hervortreten.
Ok, also wir haben, und das liegt ja irgendwie auch nahe, aber es ist schön zu hören, dass es auch aus der Forschung wissenschaftliche Ergebnisse dazu gibt, dass Erinnerungen mit Emotionen verbunden werden.
Und ich würde mir das dann so vorstellen, dass eben auch bei Betroffenen von Demenz mit der Musik vielleicht Erinnerung oder Emotionen hervorrufen können, die sie dann wieder selber mit Erinnerungen in Verbindung bringen.
Genau, genau das ist das auch, was sich da zeigt. Also wenn wir dann Musik vorspielen aus dieser Zeit, dass dann eben auch bestimmte Dinge erinnert werden. "Ach, da war ich doch beim Tanzabend, da habe ich meinen Mann kennengelernt." All diese Dinge, die eben mit dieser Zeit zusammenhängen und dann eben auch mit bestimmter Musik.
Als Physiker frage ich mich natürlich: Wenn ihr dazu forscht, wie geht ihr da vor? Gibt es da irgendwas, was ihr messen könnt? Könnt ihr messen, wie Musik bei Menschen Emotionen hervor hebt? Ist das, praktisch, quantifizierbar in irgendeinem Messwert?
Also es gibt dazu Forschung auch zur emotionalen Wirkung von Musik auf Menschen, aber in erster Linie ohne Demenz. Da hat sich zum Beispiel gezeigt, da hat man einen sogenannten Gänsehauteffekt gemessen.
Also wirklich praktisch Gänsehaut?
Genau, die man wirklich auf der Haut auch sehen kann. Da hat sich das zum Beispiel gezeigt, dass man Personen gebeten hat "Kommen Sie doch hier in dieses Versuchslabor, bringen Sie mal Ihr Lieblingsmusikstück mit." Und dann hat man die sowohl das hören lassen, aber auch Musik, die sie jetzt selber nicht so mit irgendwas Emotionalem verbunden haben. Und da hat man dann eben richtig messen können, dass in der Zeit, wo sie ihre Lieblingsmusik hören, sie häufiger Gänsehaut hatten als in der Zeit, wo sie jetzt nicht Ihre eigene Lieblingsmusik gehört haben. Und so kann man das dann quasi quantifizieren.
Also praktisch, das ist genau das, was ihr dann - ihr habt euch ja auch bewusst der Lieblingsmusik gewidmet. Wahrscheinlich dann genau mit dem Hintergrund nehme ich an, dass wenn ich jetzt das Rennsteig Lied höre und da nicht so verbunden zu bin, das nicht mein Lieblingslied ist, das bei mir weniger Effekte auslösen wird, als wenn ich dir jetzt sage "das und das sind meine Lieblingslieder".
Oder wenn du eben ein Lied aus Hamburg hörst, wo du Bezug zu...
"In Hamburg sagt man Tschüss" zum Beispiel
Genau, ja.
Spannend! Du hast schon gesagt, solche Messungen wurden nicht durchgeführt an Menschen mit Demenz. Warum nicht?
Weil man einfach einbeziehen muss, dass Menschen mit Demenz eine sehr sensible Zielgruppe sind. Wo es nicht so einfach ist, wie so einen klinischen Versuchsablauf aufzubauen und - zum Beispiel bei Gänsehaut misst man den sogenannten Hautleitwert. Da muss man Menschen an gewisse Geräte anschließen, verkabeln. Genau, das sind alles Dinge, die man mit Menschen mit Demenz so nicht mehr macht, weil das einfach auch dazu führen kann, dass sie dadurch noch verwirrter sind oder desorientiert oder sie sich einfach unwohl fühlen und sie einfach gar nicht so richtig wissen...
Überfordert sind.
Genau, was passiert da eigentlich? Und das sind alles Gründe zu sagen: Das macht man in so einem Setting mit Menschen mit Demenz einfach nicht. Und da muss man dann eben andere Wege finden.
Ich wollte gerade fragen, habt ihr denn irgendwelche Form von, praktisch, für mich als Physiker Zahlen Messwert - Habt ihr irgendeine, irgendwelche, in der Wissenschaft sagt man "quantitative Messungen" vornehmen können?
Ja, haben wir. Also da haben wir zum Beispiel das Stresslevel gemessen. Also wir hatten das Stresslevel kann man ja physiologisch messen anhand des Stresshormons Cortisol und das kann man zum Beispiel im Speichel, also aus dem Speichel heraus extrahieren, wenn man so will.
Und wir hatten dann so kleine Wattebäusche, da haben wir dann Speichelproben genommen und dann das eben versucht auszuwerten.
Was sehr viel weniger invasiv ist, weil es keine Verkabelung oder sowas benötigt?
Genau. Und aber auch da muss man natürlich sagen, wir haben jetzt mit über 100 Personen gearbeitet, diese Speichelproben haben natürlich mit viel weniger Personen auch so funktioniert. Auch weil da die Durchführung nicht immer so einfach war.
Und wenn es nicht ging, haben wir es natürlich nicht gemacht und das ist halt dann einfach was, wo man dann die Einschränkungen sieht oder so die Einschränkungen, die auch mit so einem Setting einhergehen.
Dann kriegt man wieder Probleme, weil die Stichprobe kleiner wird. Wobei ihr ja eigentlich, wie du schon sagtest, eine sehr große Stichprobe von über 100 Teilnehmenden hattet.
Wie habt ihr denn, Wie seid ihr sonst vorgegangen? Du hast gesagt ihr habt die besucht. Und diese quantitativen Messungen waren aber nicht überall möglich. Wie habt ihr denn sonst das wissenschaftlich ausgewertet im Anschluss?
Ja, wir hatten ja einen Zeitraum von sechs Wochen, den wir mit jeder Person mit Demenz verbracht haben.
Ah, ihr habe jede Person mehr als einmal getroffen?
Ja und wir haben quasi innerhalb dieses Zeitraums von sechs Wochen waren wir jeden zweiten Tag da und haben die Musik zusammen gehört. Also wirklich oft.
Immer eine Playlist?
Immer eine von den drei Playlists, die wir erstellt haben.
Ok, also nur ist das wir das zusammenfassen: Ihr hattet über 100 Leute, die ihr jeweils über sechs Wochen alle zwei Tage besucht habt und ihre individuelle Musik euch mit ihnen angehört habt.
Ja! Also es waren wirklich über 1000 Musikeinheiten am Ende, die wir durchgeführt haben. Und innerhalb dieses Zeitraums haben wir eben nicht nur die Leute besucht und Musik gehört, sondern wir haben auch bei jeder Person Videoaufnahmen gemacht und die konnten wir dann eben auswerten, weil die hatten wir dann bei einer viel größeren Stichprobe als jetzt zum Beispiel die Speichelproben.
Okay, das heißt, bei den einzelnen Besuchen konntet ihr euch auf die Person konzentrieren und habt dann Videos aufgenommen. Und dann wertet man im Nachhinein solche Videos aus?
Genau.
Wie habt ihr das gemacht? Also setzt man sich dann zusammen und guckt sich alles noch mal an und versucht irgendwie Ähnlichkeiten festzustellen? Oder was war das Ziel der Sichtung?
Ja, also wie läuft das erst mal ab? Wir waren da ein Team, das interdisziplinär, also aus verschiedenen Fachrichtungen, zusammengestellt war. Das war dann quasi eine Person aus der Kommunikationswissenschaft, ich als Musikwissenschaftlerin, einige Psycholog*innen aus unserem Team. Und wir haben dann wirklich alle Videos noch mal angeguckt und...
Hunderte, tausende Stunden...
Also Hunderte eher. Aber sehr, sehr viele. Genau. Und wir haben dann wirklich genau wie du schon gesagt hast, darauf geachtet: Gibt es irgendwelche Ähnlichkeiten in den Reaktionen von den Menschen mit Demenz? Und haben dann geguckt: Kann man das irgendwie zusammenfassen? Also gibt es da so ähnliche Reaktionstypen, würde man jetzt sagen. Und das haben wir dann wirklich nacheinander bei den ganzen Videos konnten wir das so immer mehr gucken: Okay, hier ist wieder eine ähnliche Reaktion. Das gehört vielleicht eher zu dem Typ... Und so sind wir das komplett durchgegangen und haben dann haben wirklich am Ende zehn Reaktionstypen festgestellt.
10 Stück! Okay, ich fürchte, wir haben nicht die Zeit, auf alle zehn hier einzugehen, aber kannst du uns ein paar nennen, die vielleicht besonders häufig vorgekommen sind oder vielleicht besonders spannend waren?
Also zwei, die ich sehr spannend finde, ist das - Ein Typ, der heißt "Glückseliges Genießen".
Das kann ich mir sehr gut vorstellen, weil ich glaube, das ist das, was ich vielleicht auch selber sehr viel beobachtet habe. Beschreib es trotzdem gerne nochmal ausführlicher.
Ja, das ist ein Typus, der sich beim Musikhören eher zurückzieht. Also wo es jetzt gar nicht so um das soziale Miteinander geht, sondern wo es wirklich darum geht: "Das ist jetzt meine Musik, die höre ich für mich genau und da kann ich mich irgendwie so richtig da drin fallen lassen. Das genieße ich jetzt einfach so, diesen Moment."
Und ein zweiter Typus, der auch eine total positive Reaktion zeigt, aber in einer ganz anderen Auswirkung, ist das "Teilen und Mitteilen von Freude" beim Musikhören. Und da ist es so, dass die Personen wirklich beim Musikhören auf die Gegenüber eingegangen sind. Die haben geklatscht, die haben gesungen, die haben teilweise uns als Projektteam zum Tanzen aufgefordert, weil es ihnen einfach wichtig war, dass das Musikhören was Gemeinsames ist.
Okay. Spannend. Also praktisch ein introvertierter Fall, wo einfach für sich genommen wird. Und ein extrovertierter, wo praktisch die Personen irgendwie Anschluss an andere gesucht haben und das teilen wollten. Ich glaube, ich kann beides sehr gut nachempfinden, weil beides klingt nach dieser Freude, die ausgestrahlt wird, die ich auch damals direkt erkennen konnte. Kann ich mir sehr gut vorstellen.
Habt ihr noch einen anderen Typ, der vielleicht sich ganz anders verhalten hat?
Also ein Typ, der vielleicht nicht so offensichtlich ist wie die jetzt erst genannten, den haben wir genannt "Loslassen von Anspannung". Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen technisch an, aber was es im Endeffekt war, war, dass sich wirklich Personen gezeigt haben, die, wenn sie ihre Lieblingsmusik gehört haben, sich so wirklich körperlich entspannt haben. Und das war ein ganz, ganz toller Effekt, den wir auch oft hatten.
Jetzt erklärt sich auch so ein bisschen warum du vorhin gesagt hast, ihr habt Stresshormone gemessen. Das heißt ihr konnte dann beobachten, wie die Person erst sehr angespannt war und dann so sehr sich entspannt hat, dass ihr das eben klar erkennen konntet auf dem Videomaterial?
Ja, also ich kann das ja mal an einer Situation schildern.
Wir hatten mit einer Person gearbeitet, die sehr aufgebracht war, wo man sagen würde, da war sehr hohes Stresslevel vorhanden, die einfach oft auch sehr unruhig war, der es oft einfach auch nicht so gut ging, was ja auch einfach ein Symptom bei einer Demenz ist. Das ist nicht ungewöhnlich. Und wir sind dann zu ihr gekommen und haben uns mit ihr in ihr Zimmer gesetzt. Sie saß dann in ihrem Sessel und sie hatte auch eine sehr verschlossene Körperhaltung. Sie hatte wirklich die Arme verschränkt. Auch ihr Gesichtsausdruck war einfach, ja, klar erkennbar, dass das gerade für sie ein stressiger Moment ist oder keiner, in dem sie sich jetzt so wohl fühlt. Und als wir dann ihr die Musik vorgespielt haben, hat sich wirklich die Armhaltung gelöst. Sie hat sich in einem Sessel zurückgelehnt und sie ist tatsächlich dann auch während der ersten drei Lieder einfach eingeschlafen und hat dann für 20 Minuten geschlafen und das war ganz toll.
Wahnsinn! Und ihr standed ja noch um sie rum.
Ja, ja, genau, wir waren da, die Kamera war da. Also es war ja kein Setting, in dem man sich jetzt eigentlich zurücklehnen würde. Und das Schöne war, dass eben so was wie jetzt eine Messung von einer Speichelprobe, das zu nehmen ist bei so einer Person einfach nicht möglich, weil ja man dann ja auch einfach respektieren muss, dass sie das nicht will. Und wir können aber trotzdem diesen Abfall von Anspannung so deutlich in dem Video sehen, dass wir im Endeffekt dadurch auch beweisen können, dass das einen ganz tollen Effekt hat. Auch wenn das jetzt keine Messung in Zahlen ist, sondern wir beschreiben das. Aber das ist genauso valide, würde man sagen.
Eine qualitative Messung nennt man das glaube ich.
Genau.
War das dann auch Musik, die so klassische Musik oder so entspannende Musik war, zu der man gut einschlafen kann?
Würde man jetzt denken... Nein, das war tatsächlich von Andrea Berg ein Schlager, der heißt "Die Gefühle haben Schweigepflicht" und der auch ein bisschen, würde ich sagen, fetziger ist.
Ich glaube ich, können nicht dazu einschlafen. Aber um mich zu vergewissern, können wir ja ganz kurz reinhören.
Ja, also ich glaube, der Eindruck kommt rüber. Und das ist ja das Schöne, oder dieses Beispiel ist ja so eindrücklich, weil es zeigt ganz unterschiedliche Musik hat eben bei jedem Menschen ganz unterschiedliche Wirkung. Und deswegen ist es eben so wichtig, dass man das auch dann anpasst.
Ja, super spannend, weil es ja auch wieder zeigt, dass euer Ansatz, wo ihr euch individuell auf die Person eingelassen habt, dann eben noch mal ganz besondere Ergebnisse bringen kann und dass es sich eben lohnt. Mit Sicherheit auch, das was ich erlebt habe, dass man mit allen gemeinsam Musik macht, das hat auch einen schönen Effekt, aber den Effekt in ihr messt ist ja dieser sehr individuelle und wo man dann auch sieht, dass diese Menschen, wo häufig ja viele Erinnerungen irgendwie nicht mehr vorhanden sind, aber dort eben die Individualität und der individuelle Lebenslauf eben noch ganz klar ganz tief verankert ist.
Absolut. Und das Schöne ist eben auch, dass man sieht: Das Krankheitsbild von Demenz ist so schwer zu beschreiben. Für jede Person hat das so ein bisschen andere Symptome, die damit einhergehen. Das heißt, es gibt keine Einheitslösung für "das können wir machen, damit diese Person mit Demenz sich wohlfühlt". Aber Musik kann so individuell angepasst werden, dass man eben auf jede Person auch einzeln eingehen kann. Und das ist eben das Tolle, was man hier sieht.
Super! Vielen Dank Lisa, dass du uns einen Einblick in ihre Forschung gebracht hast. Wie ihr schon gehört habt, ist dieses Format natürlich kein Therapiepodcast und wir geben hier keine Anweisungen, wie mit von Demenz betroffenen Senior*innen umgegangen werden sollte. Hast du da Hinweise, die wir weitergeben können? An wen sollte man sich wenden, wenn man eben eher nach Hilfe sucht im Umgang?
Also wir haben im Rahmen unserer Forschungsgruppe eine Telefonnummer, das "Offene Ohr", da kann man anrufen und das ist eben speziell für pflegende Angehörige. Wenn da irgendwelche Rückfragen sind, dahin kann sich gewendet werden.
Das ist ein Angebot von eurer Forschungsgruppe?
Mhm, angegliedert an die Uni Jena. Aber eben ganz offen für alle, die da gerne anrufen wollen.
Und wenn ich mich jetzt noch weiter erkundigen möchte über eure Forschung, vielleicht auch mal die wissenschaftlichen Artikel lesen möchte, wie kann ich die finden?
Die gibt es natürlich online. Ich kann die natürlich dir auch zur Verfügung stellen. Vielleicht können wir die irgendwie hier noch in den Anhang...
In die Shownotes würde ich dir auf jeden Fall verlinken.
Ja, super.
Super. Und da würde ich dann auch noch mal diese Telefonnummer verlinken und auch sonst alle weiteren Infos könnt ihr da draußen an den Geräten euch dann in den Shownotes angucken.
Wie gesagt, noch einmal vielen, vielen Dank, dass du hier warst. Und ja, euch da draußen vielen Dank fürs Zuhören bei dieser Folge, die wir "Music to Remember" genannt haben.